Im Bewusstsein der Gegenwart Gottes erwäge ich, dass er die unendliche Liebe ist: “Deus caritas est.”
“Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.” Um Gott nachzuahmen, muss man wissen, wer er ist und worin seine höchste Vollkommenheit besteht. Die Heilige Schrift sagt es uns: “Gott ist die Liebe” (1 Joh. 4, 16). Sie sagt nicht: in Gott ist Liebe, sondern Gott ist Liebe. Die Liebe, auch die menschliche Liebe, ist ein Wohlwollen. Liebe heißt jemanden wohlwollen. Es ist der Akt, mit dem der Wille sich auf das Gute richtet. Handelt es sich um Gott, das unendliche Sein, so ist die Liebe in ihm ein unendliches Wohlwollen, das sich auf ein unendliches Gut richtet, das Gott selbst ist, das er also besitzt und in dem er sich wohlgefällt. Diese Liebe, die Gott ist, ist daher eine unendliche Liebe des Wohlgefallens am unendlichen Gut, seine Umarmung umfasst aber auch die Geschöpfe, die er schafft, um sich ihnen mitzuteilen und ihr Gut, ihre Seligkeit zu sein.
Die unendliche Liebe, die Gott ist, wendet sich also auch den Geschöpfen zu. Durch einen Akt der Liebe ruft er sie ins Dasein; nicht etwa um sich bei einem so begrenzten Gute, wie sie es sind, aufzuhalten, sondern um sie ins unendliche Gut emporzutragen, empor in die Dreieinigkeit. Er schafft und liebt sie um seiner Ehre willen.
Auch wir armseligen Geschöpfe sind berufen, an jenem erhabensten Leben der Liebe teilzuhaben, das da Gott ist; eben auf dieses Ziel hin ist uns die Gnade gegeben. “Seid Nachahmer Gottes wie vielgeliebte Kinder, und wandelt in der Liebe”; so ermahnt uns der hl. Paulus (Eph. 5, 1 2).
In Nachahmung Gottes muss auch unser übernatürliches Leben wesenhaft Liebe sein; eine Liebe des Wohlwollens zu Gott, die das unendliche Gut liebt, das er ist, und durch ihn und in ihm alle Geschöpfe liebt.
Im übernatürlichen Leben ist die Liebe so wesentlich, dass Leben oder Tod für den Christen von ihrem Vorhandensein abhängt. Wer die Liebe nicht hat, besitzt auch nicht die heiligmachende Gnade, die von ihr untrennbar ist: “Wer nicht liebt, ist im Tode” (Joh. 3, 14). Andererseits, wer die Liebe hat, besitzt auch die Gnade, nimmt also teil am Leben Gottes: “Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm”. Der hl. Thomas lehrt: “Die Liebe… vereinigt das Gemüt des Menschen so sehr mit Gott, dass der Mensch nicht mehr für sich, sondern für Gott lebt.”
“Mein Gott und meine Barmherzigkeit, was soll ich tun, um nicht die Wunder zu zerstören, die du in mir wirken willst? … Herr, wie gut sind deine Wege. Doch wer vermag sie ohne Furcht zu wandeln? Ich fürchte, dass ich deinen Dienst nicht verstehe. Wenn ich darangehe, dir zu dienen, so finde ich nichts, das genügen könnte, um dir auch nur einigermaßen all das zu vergelten, was ich dir schulde. Ich möchte mich ganz deinem Dienste weihen; doch erwäge ich aufmerksam mein Elend, so fühle ich wohl, dass ich nichts Gutes vermag, wenn du mir nicht zu Hilfe kommst” (hl. Theresa von Avila).
Quelle: Geheimnis der Gottesfreundschaft





