Die Frage nach der wahren Kirche Jesu Christi ist keine nebensächliche theologische Spekulation, sondern das Herzstück des katholischen Selbstverständnisses. Die Kirche hat durch alle Jahrhunderte hinweg unmissverständlich gelehrt, dass sie – und nur sie – identisch ist mit der von Christus gestifteten Kirche. Der Ausdruck “subsistit in”, der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die Kirchenkonstitution Lumen Gentium eingeführt wurde, stellt einen folgenschweren Bruch mit dieser Lehre dar. Er suggeriert eine neue Sicht auf das Verhältnis zwischen der Kirche Christi und der katholischen Kirche. Diese neue Sichtweise steht nicht in Kontinuität mit der bisherigen Lehre, sondern bringt eine Revolution in der Ekklesiologie mit sich.
Die überlieferte Lehre: “Est” – Die katholische Kirche ist die Kirche Christi
Papst Pius XII. brachte in Mystici Corporis (1943) die Lehre auf den Punkt: „Diese wahre Kirche Jesu Christi […] ist die heilige, katholische, apostolische, römische Kirche.“ Diese Aussage steht in einer Linie mit der konstanten Tradition. Schon die Kirchenväter, das Trienter Konzil und das Erste Vatikanische Konzil bekannten, dass es keine andere Kirche Christi als die katholische gebe.
Diese Lehre ist nicht nur exklusiv, sondern absolut. Die Kirche ist kein unsichtbares Gebilde, keine geistige Idee, sondern eine sichtbare, verfasste Gesellschaft mit klarer Struktur, Hierarchie, Sakramenten und Jurisdiktion. Wer sich außerhalb dieser Struktur befindet, ist nicht Teil der Kirche Christi.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in Artikel 8 von Lumen Gentium die klassische Formulierung “est” (ist) ersetzt durch “subsistit in” (subsistiert in). Diese Entscheidung fiel nicht aus theologischer Notwendigkeit, sondern aus ökumenischer Rücksichtnahme. Der Sekretär der Theologischen Kommission, Pater Sebastian Tromp, hatte lange Zeit für die Beibehaltung von “est” gekämpft. Unter zunehmendem Druck schlug er schließlich selbst “subsistit in” vor – eine Wendung, die offenbar von einem protestantischen Pastor (Wilhelm Schmidt) stammte und über Joseph Ratzinger an Kardinal Frings weitergereicht wurde.
Der Begriff “subsistit in” – Eine Einfallstür zum Pluralismus
“Subsistit in” soll ausdrücken, dass die Kirche Christi “fortbesteht” oder “verwirklicht ist” in der katholischen Kirche. Doch diese Formulierung lässt – anders als “est” – Raum für die Idee, dass Teile der Kirche Christi auch außerhalb der katholischen Kirche existieren. Das öffnet Tür und Tor für eine pluralistische Kirchenauffassung: Die katholische Kirche sei zwar die vollkommenste Verwirklichung der Kirche Christi, doch andere Gemeinschaften könnten ebenfalls in gewisser Weise Kirche sein – eben unvollständig.
Mit der neuen Formel ging eine neue Lehre einher: die sogenannte Elemente-Ekklesiologie. Diese sieht die Kirche nicht mehr als ein organisches Ganzes, sondern als Summe von Elementen (Wort Gottes, Sakramente, Hierarchie usw.). Je mehr dieser Elemente eine Gemeinschaft besitzt, desto mehr ist sie “Kirche”. So wurde die katholische Kirche zur “vollständigen Kirche”, während protestantische und orthodoxe Gemeinschaften als “unvollständige” oder “Teil-” Kirchen gelten.
Das ist ein radikaler Bruch. In der überlieferten Lehre ist die Kirche eine unteilbare Einheit. Elemente wie Taufe oder Bibelgebrauch sind kein Ersatz für das Wesen der Kirche. Die Kirche ist nicht aus Teilen zusammengesetzt wie ein Baukasten, sondern sie ist von Christus als Ganzes gestiftet. Alles andere ist vollständiger Verlust, nicht Teilverwirklichung.
Ratzingers Verteidigung – und ihr Scheitern
Joseph Ratzinger versuchte als Theologe, als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst Benedikt XVI. immer wieder, die Formel “subsistit in” zu rechtfertigen. Er argumentierte, die Kirche müsse anerkennen, dass es “Getaufte außerhalb der Einheit” gebe, die dennoch Christen seien. Doch das ist ein Fehlschluss: Es geht nicht um Personen, sondern um kirchliche Gemeinschaften. Und diese besitzen nach katholischer Lehre nur dann die Eigenschaft “Kirche”, wenn sie Einheit mit Rom und gültige Sakramente haben.
Zugleich gestand Ratzinger in verschiedenen Texten offen ein, dass durch “subsistit in” eine “Reduktion des Absolutheitsanspruchs” stattfinde. Damit ist aber eben kein Festhalten an der überlieferten Lehre gegeben, sondern ein Eingeständnis ihrer Relativierung.
Wenn man sagt, dass die Kirche Christi in der katholischen Kirche “vollständig” subsistiert, aber auch in anderen christlichen Gemeinschaften “teilweise”, dann gibt es – logischerweise – mehrere Subsistenzen. Diese Lehre widerspricht dem Dogma von der einen Kirche. Das Konzil wollte diesen Bruch durch sprachliche Mehrdeutigkeit kaschieren. Doch wie Kardinal Ratzinger selbst sagte: “In der Differenz zwischen subsistit und est liegt das ganze ökumenische Problem verborgen.”
Koexistenz-Ökumene statt Rückkehr-Ökumene
Mit dem Bruch der exklusiven Identifikation der Kirche Christi mit der katholischen Kirche fiel auch das Ziel der Ökumene: Die vorkonziliaren Päpste – allen voran Pius XI. – forderten die Rückkehr der getrennten Brüder zur katholischen Einheit. Nach dem Konzil ist dieses Ziel aufgegeben worden. Stattdessen propagiert man eine “Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, in der die katholische Kirche nur noch eine Kirche unter vielen ist. Benedikt XVI. hielt auch als Papst an dieser Linie fest.
Die Kirche ist nicht relativ
Die katholische Kirche ist die einzige, von Christus gestiftete Kirche. Diese Wahrheit ist keine theologisches Meinungsangebot, sondern ein Dogma. Das “subsistit in” mag noch so diplomatisch formuliert sein – es stellt faktisch eine Aufweichung dieser Wahrheit dar. Wer an der Kirche festhält, muss deshalb an der Formel “est” festhalten: Die Kirche Christi ist die katholische Kirche – und keine andere.
Alle anderen Ansätze führen zu einem ekklesiologischen Relativismus, der das Wesen der Kirche zerstört. Es ist unsere Pflicht, dies klar zu erkennen – in Treue zur Lehre der Kirche durch alle Jahrhunderte.