Der Libanon – Ein unerschütterlicher Glaube der Christen in Zeiten des Wandels

Gastbeitrag eines Katholiken mit libanesischen Wurzeln.

Die Stärke der Christen im Angesicht der Herausforderungen

Als ich aufwuchs, prägte mich das beständige Läuten der Kirchenglocken, das in unserer Heimat widerhallte, als rufe es uns zu: „Wachet auf und steht fest im Glauben!“ Die maronitisch-katholische Kirche, deren Rituale und Traditionen so alt wie die Zeit selbst sind, war uns stets eine sichere Zuflucht, ein unerschütterliches Bollwerk inmitten einer Welt, die sich fortwährend veränderte. Unsere Liturgie, tief verwurzelt in der aramäischen Sprache, trug die Stimme unserer Vorfahren, die schon vor Jahrhunderten in diesen Bergen lebten und beteten. Doch zugleich wuchs in uns die Erkenntnis, dass unser Land sich wandelte, dass eine Macht heranwuchs, die unser Volk vor nie gekannte Herausforderungen stellen sollte.

Ein Land christlicher Wurzeln und die demografische Verschiebung

Als der Libanon im Jahr 1943 seine Unabhängigkeit erlangte, war das Land von einem christlichen Geist durchdrungen. Damals machten die Christen mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Die maronitischen Christen, gemeinsam mit anderen christlichen Konfessionen, spielten eine zentrale Rolle in der Politik und im Aufbau des jungen Staates. Es war ein Land, in dem die christliche Kultur, die Kirchenfeste und die Werte unserer Vorfahren das öffentliche Leben prägten.

Doch mit der Zeit wandelte sich das Bild des Landes. Durch die hohen Geburtenraten in der muslimischen Gemeinschaft und die Ankunft palästinensischer Flüchtlinge nach 1948 veränderte sich das demografische Gleichgewicht. Während die muslimische Bevölkerung wuchs, sahen sich viele Christen in die Emigration gezwungen, getrieben von der Sorge um ihre Sicherheit und die Zukunft ihrer Kinder. Der Bürgerkrieg, der 1975 ausbrach, brachte die Spannungen zwischen den Gemeinschaften schließlich zum Ausbruch und veränderte das Land tiefgreifend.

Der Bürgerkrieg: Ein Aufstand des christlichen Widerstands

Der Bürgerkrieg, der das Land von 1975 bis 1990 in Flammen setzte, wurde zu einer Epoche, in der die Christen des Libanons ihren unerschütterlichen Willen zur Verteidigung ihrer Heimat zeigten. Unter Führung von Männern wie Bachir Gemayel erhoben sich die christlichen Milizen, um gegen den wachsenden Einfluss palästinensischer und später syrischer Kräfte zu kämpfen. Es war eine Zeit, in der der christliche Stolz wiederentdeckt wurde, in der die Verteidigung unserer Gemeinden zu einem heiligen Akt wurde.

Als die israelische Invasion 1982 begann, sahen viele Christen darin eine Gelegenheit, die palästinensischen Kämpfer der PLO aus dem Land zu drängen und damit eine Bedrohung für die Stabilität des Libanons zu beseitigen. Doch diese Invasion brachte auch neue Spannungen in unser Land und hinterließ eine tiefe Spaltung. Die Christen sahen sich einmal mehr in einer Lage, in der sie ihre Unabhängigkeit und ihren Glauben verteidigen mussten, gegen ein Umfeld, das zunehmend durch den Einfluss der Hisbollah und anderer schiitischer Kräfte geprägt war, die aufgrund der israelischen Besatzung im Südlibanon entstanden sind.

Die Stärke der christlichen Gemeinschaft: Widerstandskraft und Identität

Doch anders als in vielen Teilen des Nahen Ostens, wo christliche Gemeinschaften schrittweise marginalisiert wurden, blieben wir im Libanon standhaft. Unsere Gemeinden verteidigten ihre Territorien – von den Bergen des Libanongebirges bis zu den Vierteln von Beirut – und hielten den radikalen Kräften stand, die unsere Lebensweise bedrohten. Wir sind eine Gemeinschaft, die gelernt hat, sich gegen die Stürme der Zeit zu behaupten. Unsere Kirchen blieben geöffnet, unsere Gebete wurden nicht stumm, selbst als der Krieg um uns tobte.

Der Libanon hat eine christliche Gemeinschaft hervorgebracht, die sich nicht scheut, ihre Rechte einzufordern und ihre Identität zu bewahren. Und obwohl wir heute in der Minderheit sind, bleibt unsere Präsenz stark und unsere Stimme laut. Unsere Liturgien erklingen in den Kirchen von Bcharre, Byblos und Jounieh, und unsere Prozessionen durch die engen Gassen zeugen von einem tief verwurzelten Glauben, der durch die Jahrhunderte hindurch Bestand hatte.

Ein Land, zerrissen zwischen Macht und Glaube

Heute, nach all den Jahren des Konflikts, spüren wir die Spannungen noch immer in unserem täglichen Leben. Die Rivalitäten zwischen Sunniten und Schiiten, die Auseinandersetzungen um politische Macht, all das beeinflusst unser Land tief. Die Hisbollah, gestützt vom Iran, hat ihren Einfluss auf große Teile des Libanon ausgeweitet und sich zu einem beherrschenden Akteur entwickelt. Doch während sich viele politischen Kräfte bekämpfen, haben wir Christen es nicht zugelassen, dass unser Glaube zu einem bloßen Relikt wird. Unsere Kirchen stehen fest, unsere Stimmen werden gehört, und unsere Hoffnung auf eine Erneuerung des christlichen Erbes im Libanon bleibt ungebrochen.

Wir haben erlebt, wie politische Machtspiele unser Land wiederholt in neue Kriege führten, wie die israelischen Luftangriffe die Städte zerstörten und die Hisbollah sich auf den Widerstand gegen Israel konzentrierte. Wir sind keine schweigende Unterzahl, sondern eine Einheit, die an ihren Überzeugungen festhält, die sich gegen den Wandel wehrt und die ihre Rolle als Hüter der christlichen Traditionen nicht aufgibt.

Die Zukunft: Hoffnung und Herausforderung zugleich

Auch heute wissen wir, dass der Weg zur Versöhnung lang ist und dass wir weiterhin für unseren Platz im Libanon kämpfen müssen. Viele versuchen, die Vergangenheit zu vergessen, die Gräueltaten zu verdrängen, aber der Geist der Intoleranz bleibt spürbar. Es gibt Bestrebungen in Teilen der muslimischen Bevölkerung, das Land zunehmend nach islamischen Maßstäben zu formen. Doch wir wissen, dass unsere Präsenz im Land eine andere Bedeutung hat: Wir stehen für eine Kirche, die noch älter ist wie das Land selbst und für ein Erbe, das all die Mühen wert ist.

Unser Ziel ist nicht nur das Überleben, sondern die Erneuerung der christlichen Gemeinschaft im Libanon – demografisch und politisch. Wir träumen davon, dass der Libanon wieder ein Land wird, in dem das Kreuz über den Minaretten steht, nicht aus Feindschaft, sondern als Zeugnis für unsere tief verwurzelte Geschichte. Wir kämpfen für die Rückkehr der Emigranten, für eine Wiederbelebung unserer christlichen Gemeinden und für die Stärkung unserer politischen Stimme. Denn wir wissen, dass der Libanon ohne seine Christen etwas Entscheidendes verlieren würde: das Herz, das ihn zu einem Ort der Tradition und des Glaubens gemacht hat.

Möge Gott uns die Weisheit und den Mut geben, in diesen schwierigen Zeiten den Glauben nicht zu verlieren, und möge unsere Kirche in ihrer Stärke und unerschütterlich bleiben.

 

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