Dürfen Christen niemanden „Vater“ nennen?

Es ist ein immer wiederkehrendes Argument in den Reihen der protestantischen Häresie, dass unser göttlicher Heiland Jesus Christus in seiner Heiligen Schrift anordnete, niemanden auf Erden „Vater“ zu nennen. Die entsprechenden Worte unseres Herrn, die in Matthäus 23,9 zu finden sind, scheinen für jene, die sich gegen die heilige katholische Kirche stellen, als unwiderlegbares Zeugnis zu dienen, dass keinerlei geistliche oder kirchliche Person den ehrwürdigen Titel „Vater“ tragen dürfe, und somit vor allem die Anrede des Papstes als „Heiliger Vater“ der Auflehnung gegen Gottes Gebot gleichkomme. 

Die Heilige Schrift als Zeugnis der geistlichen Vaterschaft

Wir sollten vor allem den Irrtum korrigieren, dass unser Herr mit seiner Ermahnung, niemanden auf Erden Vater zu nennen, den ehrwürdigen Brauch der Anrede unserer geistlichen Hirten aufgehoben hätte. Wir wollen zur göttlich inspirierten Schrift selbst greifen, um die Heilige Tradition zu beleuchten. In der Bibelübersetzung des ehrwürdigen P. Dr. Joseph Franz von Allioli lesen wir:

 

1. Korinther 4,15: „Hättet ihr zehntausend Erzieher in Christo, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn in Christo Jesu habe ich euch durch das Evangelium gezeugt.“

 

Hier erkennen wir den heiligen Apostel Paulus, der sich ohne Zögern und ohne Scheu den geistlichen Vater der Gemeinde zu Korinth nennt, da er sie durch das Evangelium zur neuen Geburt in Christus geführt hat. Würde Paulus der Auffassung sein, dass die Worte Christi jegliche geistliche Vaterschaft verwerfen, so hätte er sich wohl eines solchen Ausdrucks enthalten. Doch mit göttlicher Weisheit bekennt er seine Vaterschaft über die Seelen, die ihm anvertraut wurden.

 

1. Thessalonicher 2,11: „Wie ihr wisset, wie wir jeden Einzelnen von euch ermahnt haben, wie ein Vater seine Kinder.“

 

Auch hier erhebt der heilige Paulus erneut Anspruch auf eine geistliche Vaterschaft, da er in seelsorgerlicher Liebe für die Thessalonicher sorgt, wie ein Vater für seine Kinder. Sollten wir ihm dies verwehren, wenn doch er in der Kraft Christi handelt?

 

Philemon 1,10: „Ich bitte dich für mein Kind Onesimus, den ich im Gefängnisse gezeugt habe.“

 

In diesen Worten ersehen wir eine weitere Bestätigung der geistlichen Vaterschaft des heiligen Paulus. Jener Onesimus, durch Paulus zur wahren Erkenntnis des Glaubens gebracht, wird von ihm als Sohn bezeichnet, und Paulus nimmt, wie ein Vater, Fürsorge für seine geistlichen Kinder. Auch das Alte Testament, welches uns die göttlichen Verheißungen des Herrn an das auserwählte Volk Israel überliefert, spricht in einer Weise von der geistlichen Vaterschaft, die Protestanten nicht widerlegen können:

 

2. Könige 2,12: „Und Elisäus sah es, und er schrie: Mein Vater, mein Vater, du Wagen Israels und sein Lenker!“

 

Der Prophet Elisäus, erfüllt vom Geiste Gottes, schreit Elia, seinen geistlichen Lehrer, als „Vater“ an. Der Prophet Elia, der im Geiste Gottes wandelte, hatte die Vaterrolle gegenüber Elisäus inne, welcher diese göttliche Hierarchie anerkannte.

 

1. Mose 45,8: „Nicht ihr habt mich hieher gesandt, sondern Gott; und er hat mich dem Pharao zum Vater gesetzt und dem ganzen Hause zu Herrscher über ganz Ägyptenland.“

 

Auch Joseph, der Gerechte, bezeichnet sich als „Vater“ des Pharao, da er ihm durch die göttliche Vorsehung als Berater und geistlicher Führer gegeben wurde.

Die wahre Bedeutung der Worte Christi

Wenn unser Herr Jesus Christus in Matthäus 23,9 spricht: „Und nennet niemanden auf Erden euren Vater; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist“, so will er damit nicht die rechtmäßige Ehrfurcht und geistliche Vaterschaft leugnen, wie sie in den oben zitierten Beispielen der Schrift deutlich hervorgeht. Vielmehr tadelt unser Heiland die Scheinheiligkeit und den Hochmut der Schriftgelehrten und Pharisäer, die sich Titel anmaßten, um sich in die Herrlichkeit Gottes zu setzen und Menschen zu dominieren, anstatt sie zu Gott zu führen. Christus hebt hervor, dass alle wahre Vaterschaft, sei sie leiblich oder geistlich, letztlich von Gott, dem himmlischen Vater, ausgeht. Es ist Gott allein, der durch seine Diener und Vertreter auf Erden, den Priestern und Bischöfen, seine väterliche Sorge über seine Herde ausübt. Die Tradition der Kirche, die in der ununterbrochenen Sukzession der Apostel und in der unveränderlichen Lehre des Glaubens verankert ist, hat stets die geistliche Vaterschaft der Priester, Bischöfe und des Papstes hochgehalten. Jene ehrwürdigen Männer sind uns durch die göttliche Vorsehung als geistliche Väter gegeben, die uns durch ihre Weisheit und das Wort Gottes zum ewigen Leben führen. Insbesondere der Papst, der Nachfolger des heiligen Petrus und der sichtbare Stellvertreter Christi auf Erden, ist unser „Heiliger Vater“ in geistlicher Hinsicht, da er die Kirche als Hirte und Lehrer leitet.

Die Worte des Kirchenvaters Johannes Chrysostomos

Um diese Wahrheit weiter zu unterstreichen, wenden wir uns an einen der größten Kirchenväter, den heiligen Johannes Chrysostomos, der in seiner Auslegung des Matthäusevangeliums klarstellt:

 

 „Wenn er sagt: ‚Nennet niemanden auf Erden euren Vater‘, so spricht er nicht gegen die natürliche Vaterschaft, sondern er tadelt jene, die sich Titel anmaßen, um andere zu beherrschen, nicht um sie zu lehren. Denn wenn dies verboten wäre, wie könnte Paulus sagen: ‚Denn wenn ihr auch zehntausend Erzieher in Christus hättet, so habt ihr doch nicht viele Väter‘? Aber er spricht hier, um die Menschen zu lehren, niemandem über sich jene Ehre zuzuschreiben, die einzig Gott gebührt. Denn Gott ist es, der wahrhaft der Vater der Menschen ist, nicht auf physische, sondern auf geistliche Weise.“

— Johannes Chrysostomos, Homilie 72 zu Matthäus

 

Chrysostomos macht hier deutlich, dass unser Herr in Matthäus 23,9 keineswegs die rechtmäßige Anrede „Vater“ ablehnt, sondern lediglich die Eitelkeit und den Missbrauch geistlicher Titel tadelt. So stützt auch Er seine Verteidigung auf die Heilige Schrift selbst.

Schlussfolgerung

Die irrige Auffassung der Protestanten, dass Jesus Christus jegliche Anrede „Vater“ in geistlichen Belangen verboten habe, steht im Widerspruch zur Heiligen Schrift und zur geoffenbarten Lehre der Kirche. Es ist klar ersichtlich, dass die geistliche Vaterschaft, wie sie in den Schriften des Alten und Neuen Testamentes bezeugt wird, nicht nur legitim, sondern auch heilig ist. Wer dem Papst oder einem Priester den Titel „Vater“ verweigert, der stellt sich gegen die Weisheit der Kirche und die unmissverständliche Botschaft der Schrift.

 

 

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