Warum das Sola Scriptura-Prinzip falsch ist

Das Prinzip des Sola Scriptura (lateinisch für „allein die Schrift“) ist ein zentraler Grundsatz der Reformation und besagt, dass die Bibel die alleinige und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der christlichen Lehre ist. Aus katholischer Sicht ist dieses Prinzip jedoch aus mehreren Gründen theologisch, historisch und praktisch unhaltbar. Im Folgenden wird detailliert dargelegt, warum die katholische Kirche das Sola Scriptura-Prinzip ablehnt und welche fundamentalen Unterschiede sich daraus ergeben.

Das Verhältnis zwischen Schrift und Tradition

Die katholische Kirche lehrt, dass die göttliche Offenbarung in zwei Quellen weitergegeben wurde: der Heiligen Schrift und der Heiligen Tradition. Diese beiden sind untrennbar miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig. Dies wird besonders im Konzil von Trient (1545–1563) deutlich, das in Reaktion auf die protestantische Reformation betonte, dass die gesamte göttliche Offenbarung in der Schrift und der apostolischen Tradition bewahrt wird. Die Heilige Tradition umfasst das mündlich überlieferte Wort Gottes, das von den Aposteln empfangen und durch ihre Nachfolger, die Bischöfe, weitergegeben wurde.

Biblische Basis der Tradition

Ein wichtiger Einwand gegen Sola Scriptura ist, dass die Bibel selbst nicht behauptet, die alleinige Quelle der Offenbarung zu sein. Stattdessen finden sich in der Schrift Hinweise darauf, dass die mündliche Tradition ebenso wichtig ist:

2. Thessalonicher 2,15: „Haltet fest an den Überlieferungen, die ihr gelernt habt, sei es durch mündliche Rede oder durch unseren Brief.“

Johannes 21,25: „Es gibt noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn es einzeln aufgeschrieben würde, so würde die Welt die Bücher nicht fassen können.“

Diese Stellen zeigen, dass nicht alle Lehren Jesu in der Schrift niedergeschrieben wurden, sondern auch mündlich weitergegeben wurden. Die Heilige Schrift selbst verweist also auf die Bedeutung der Tradition.

Warum die frühen Christen nicht an das Sola Scriptura-Prinzip glaubten

Ein zentraler Einwand gegen das Sola Scriptura-Prinzip ist, dass es weder in der Bibel selbst noch in der Praxis der frühen Kirche eine Grundlage findet. Die ersten Christen – einschließlich der Apostel, ihrer direkten Schüler und der frühen Kirchenväter – hielten nicht an der Vorstellung fest, dass nur die Heilige Schrift als Autorität genügt. Vielmehr wurde die mündliche Tradition als wesentlicher Bestandteil der göttlichen Offenbarung angesehen und in der Kirche bewahrt.

Bereits die Apostel selbst stützten sich nicht ausschließlich auf geschriebene Texte. Vielmehr predigten sie das Evangelium mündlich und überlieferten Lehren, die später nicht vollständig in der Schrift festgehalten wurden.

2. Thessalonicher 2,15: „Haltet fest an den Überlieferungen, die ihr gelernt habt, sei es durch mündliche Rede oder durch unseren Brief.“

Der Apostel Paulus stellt hier klar, dass die mündliche Überlieferung ebenso verbindlich ist wie seine Briefe. Dies widerspricht der Vorstellung, dass allein die Schrift autoritativ sei.

1. Timotheus 3,15: „Falls ich aber länger ausbleibe, sollst du wissen, wie man sich im Hause Gottes verhalten muss – das die Kirche des lebendigen Gottes ist, Säule und Fundament der Wahrheit.“

Diese Bibelstelle zeigt eindeutig, dass die Kirche – und nicht allein die Schrift – als Säule und Fundament der Wahrheit betrachtet wird. Die Kirche hat daher die Autorität, die Lehre Christi zu bewahren und weiterzugeben.

Johannes 21,25: „Es gibt noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn es einzeln aufgeschrieben würde, so würde die Welt die Bücher nicht fassen können.“

Johannes bezeugt, dass nicht alles, was Jesus getan oder gelehrt hat, niedergeschrieben wurde. Die mündliche Tradition war daher notwendig, um die Lehre Jesu vollständig zu bewahren.

Apostelgeschichte 15: Beim Apostelkonzil in Jerusalem wird keine schriftliche Autorität zitiert, um das Problem der Beschneidung zu lösen. Stattdessen berufen sich die Apostel auf die Führung des Heiligen Geistes und ihre mündliche Lehre.

Die Praxis der ersten christlichen Gemeinden

Die frühesten christlichen Gemeinden hatten keinen vollständigen Kanon der Schrift, da das Neue Testament noch nicht existierte. Sie lebten ihren Glauben nach der mündlichen Lehre der Apostel und ihrer Nachfolger. Diese Praxis zeigt, dass die Tradition von Anfang an eine zentrale Rolle spielte.

Der Kanon der Schrift: Der Kanon des Neuen Testaments wurde erst im 4. Jahrhundert endgültig festgelegt. Vorher zirkulierten verschiedene Schriften, und es gab keine einheitliche Bibel. Die Gemeinden waren daher auf die apostolische Tradition und die Lehre der Bischöfe angewiesen.

Lesungen aus der Schrift: Zwar wurden in den Gottesdiensten der frühen Christen Teile der Schrift vorgelesen, doch war dies stets eingebettet in die mündliche Lehre. Die Schrift wurde im Licht der apostolischen Tradition interpretiert.

Zeugnisse der apostolischen Väter

Die direkten Schüler der Apostel – bekannt als die apostolischen Väter – betonten die Bedeutung der mündlichen Tradition und die Autorität der Kirche. Diese Schriften zeigen, dass sie nicht nach dem Sola Scriptura-Prinzip lebten.

Ignatius von Antiochien († ca. 110 n. Chr.):
Ignatius, ein Schüler des Apostels Johannes, betonte die Rolle des Bischofs und der kirchlichen Hierarchie als Hüter der Wahrheit. In seinem Brief an die Philadelphier schrieb er:

„Wer aber zum Altar und zur Kirche kommt, der ist ein Christ; wer sich jedoch von der Gemeinschaft trennt, der zeigt Hochmut, indem er die Überlieferung verwirft.“

Polykarp von Smyrna († ca. 155 n. Chr.):
Polykarp, ebenfalls ein Schüler des Apostels Johannes, vertraute nicht allein auf die Schrift, sondern auf die apostolische Überlieferung. In seinem Brief an die Philipper fordert er die Gläubigen auf,

„festzuhalten an der Überlieferung des Herrn“.

Papias von Hierapolis († ca. 130 n. Chr.):
Papias schrieb:

„Ich zog es vor, das lebendige und bleibende Wort [die mündliche Tradition] zu empfangen von denen, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen waren, anstatt zu versuchen, Lehren aus Büchern zu entnehmen.“

Papias zeigt hier, dass die mündliche Tradition der Schrift gleichgestellt oder sogar bevorzugt wurde.

Zeugnisse der Kirchenväter

Die Kirchenväter der 2. und 3. Jahrhunderte, die als Hüter und Verteidiger des Glaubens wirkten, wiesen das Sola Scriptura-Prinzip entschieden zurück. Sie betonten die Bedeutung der mündlichen Tradition und die Autorität der Kirche.

Irenäus von Lyon († ca. 202 n. Chr.):
Irenäus, ein Schüler von Polykarp, schrieb in seiner Schrift Gegen die Häresien:

„Selbst wenn die Apostel keine Schriften hinterlassen hätten, müsste man dennoch der Tradition folgen, die sie denen überliefert haben, denen sie die Kirche anvertraut haben.“

Er erklärt, dass die wahre Lehre der Kirche durch die ununterbrochene Nachfolge der Bischöfe gesichert wird.

Tertullian († ca. 220 n. Chr.):
In seiner Schrift De praescriptione haereticorum argumentiert Tertullian, dass die Kirche allein die Autorität hat, die Schrift richtig auszulegen. Er schreibt:

„Ohne die Kirche hat niemand das Recht, die Schrift für sich zu beanspruchen.“

Origenes († ca. 254 n. Chr.):
Origenes betonte die Rolle der Tradition bei der Auslegung der Schrift:

„Die Kirche besitzt eine Überlieferung von den Aposteln, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde.“

Für Origenes war die Tradition entscheidend, um die Schrift korrekt zu interpretieren.

Cyprian von Karthago († ca. 258 n. Chr.):
Cyprian schrieb:

„Man kann Gott nicht als Vater haben, wenn man die Kirche nicht als Mutter hat.“ Für Cyprian war die Kirche der Ort, an dem die Wahrheit bewahrt wird, und nicht die Schrift allein.

Konzile und die kirchliche Autorität

In den ersten Jahrhunderten der Kirche spielten ökumenische Konzile eine entscheidende Rolle bei der Klärung und Verteidigung der christlichen Lehre. Diese Konzile stützten sich nicht ausschließlich auf die Schrift, sondern auch auf die Tradition.

Konzil von Nicäa (325 n. Chr.):
Das Konzil formulierte die Lehre von der Wesensgleichheit Jesu mit dem Vater, die nicht wörtlich in der Schrift enthalten ist. Diese Lehre stützte sich auf die Tradition der Kirche und die Autorität der Bischöfe.

Kanonbildung:
Der Kanon der Schrift wurde auf den Synoden von Hippo (393) und Karthago (397) unter der Autorität der Kirche festgelegt. Diese Entscheidung basierte nicht auf der Schrift selbst, sondern auf der apostolischen Tradition.

Die Ablehnung von Sola Scriptura durch die frühe Kirche

Die Praxis und Lehre der frühen Christen zeigen klar, dass sie nicht an das Prinzip von Sola Scriptura glaubten. Die mündliche Überlieferung, die apostolische Nachfolge und die Autorität der Kirche spielten eine zentrale Rolle bei der Weitergabe und Bewahrung der göttlichen Offenbarung. Die Schriften der apostolischen Väter und Kirchenväter sowie die Entscheidungen der frühen Konzile bezeugen, dass die frühe Kirche Tradition und Schrift untrennbar miteinander verband. Dieses Verständnis bleibt bis heute ein Grundpfeiler der katholischen Theologie und ein wesentlicher Grund, warum die Kirche das Sola Scriptura-Prinzip ablehnt.

Die Rolle der Kirche als Hüterin der Wahrheit

Die katholische Kirche erklärt mit Recht, dass die Heilige Schrift nicht unabhängig von der Kirche verstanden werden kann. Die Kirche existierte vor der Bibel in ihrer heutigen Form und war maßgeblich daran beteiligt, den Kanon der Schrift festzulegen. Es war die Kirche, die im 4. Jahrhundert durch Synoden wie jene von Hippo (393) und Karthago (397) bestimmte, welche Bücher der Bibel kanonisch sind. Ohne die Autorität der Kirche gäbe es daher keine einheitliche Bibel.

Unfehlbarkeit des Lehramts

Die Kirche besitzt durch das von Christus verliehene Lehramt eine unfehlbare Autorität in Glaubensfragen. Das Lehramt, bestehend aus Papst und Bischöfen, wird durch den Heiligen Geist geleitet (vgl. Johannes 14,26) und ist dazu befähigt, die Schrift richtig auszulegen. Ohne diese Autorität würde jede Interpretation der Schrift subjektiv bleiben und zu einer Zersplitterung führen – was in der protestantischen Welt tatsächlich geschehen ist.

Praktische Probleme von Sola Scriptura

Das Sola Scriptura-Prinzip führt zu erheblichen praktischen Problemen:

Subjektive Bibelauslegung

Das Fehlen einer zentralen Autorität bei der Auslegung der Schrift hat in der protestantischen Welt zu einer Vielzahl unterschiedlicher Lehren und Konfessionen geführt. Es gibt heute Tausende protestantischer Denominationen, die alle behaupten, sich allein auf die Bibel zu stützen. Diese Zersplitterung zeigt, dass Sola Scriptura keine zuverlässige Grundlage für die Einheit der Christen ist.

Der Kanon der Schrift

Die Frage nach dem Kanon der Bibel wirft ebenfalls Probleme auf. Sola Scriptura setzt voraus, dass die Bibel in ihrer heutigen Form autoritativ ist. Doch wer hat entschieden, welche Bücher zur Bibel gehören? Der protestantische Kanon unterscheidet sich vom katholischen, da die Reformatoren mehrere Bücher des Alten Testaments (die sogenannten deuterokanonischen Bücher) als apokryph ablehnten. Ohne die Autorität der Kirche gibt es keine objektive Grundlage, auf der diese Entscheidung getroffen werden kann.

Die Rolle der Tradition im Alltag der Kirche

Viele zentrale Aspekte des christlichen Lebens und Glaubens, wie die Sakramente, die Marienverehrung oder das Verständnis der Dreifaltigkeit, sind in der Bibel nicht explizit dargelegt, sondern entstammen der kirchlichen Tradition. Die Dreifaltigkeitslehre zum Beispiel wurde im 4. Jahrhundert auf dem Konzil von Nicäa formuliert – Jahrhunderte nach der Entstehung der neutestamentlichen Schriften. Diese Lehren sind dennoch unverzichtbar für den christlichen Glauben.

Biblische, theologische und historische Argumente gegen Sola Scriptura

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Sola Scriptura-Prinzip aus folgenden Gründen eindeutig falsch ist:

Biblische Argumente

Die Bibel selbst verweist auf die Bedeutung der mündlichen Tradition (z. B. 2. Thessalonicher 2,15) und gibt keinen Hinweis darauf, dass sie die alleinige Quelle der Offenbarung sein soll.

Theologische Argumente

Die katholische Kirche betont, dass die Schrift ohne die Führung durch das Lehramt der Kirche zu subjektiven Interpretationen führt, die die Einheit der Christen gefährden. Nur durch die Autorität der Kirche kann die Schrift richtig ausgelegt werden.

Historische Argumente

Die Bibel, wie wir sie heute kennen, wurde von der Kirche zusammengestellt. Ohne die Autorität der Kirche gäbe es keine festgelegte Schrift, auf die sich Sola Scriptura überhaupt stützen könnte.

Die katholische Alternative: Schrift, Tradition und Lehramt

Die katholische Kirche bietet mit ihrem Verständnis von Schrift, Tradition und Lehramt eine ganzheitliche Alternative zu Sola Scriptura. Diese drei Säulen bilden zusammen die Grundlage der göttlichen Offenbarung und garantieren, dass der Glaube in seiner Fülle und Reinheit bewahrt wird:

Die Heilige Schrift: Das geschriebene Wort Gottes.

Die Heilige Tradition: Die mündlich überlieferte Lehre, die von den Aposteln stammt.

Das Lehramt: Die von Gott eingesetzte Autorität, die Schrift und Tradition verbindlich auslegt.

Dieses dreifache Fundament sichert die Einheit und Kontinuität der Kirche und bewahrt die Gläubigen vor subjektiven Irrtümern.

Zusammenfassung

Aus katholischer Sicht ist das Sola Scriptura-Prinzip ein unzureichender Ansatz, da es die Heilige Tradition und die Autorität der Kirche ignoriert. Es widerspricht sowohl der biblischen Lehre als auch der historischen Realität der christlichen Gemeinschaft. Die katholische Kirche ruft daher alle Christen dazu auf, die Fülle der Offenbarung in Schrift und Tradition zu erkennen und die von Christus eingesetzte Autorität der Kirche anzuerkennen. Nur so kann der Glaube in seiner Ganzheit bewahrt und authentisch weitergegeben werden.

 

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