Nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin ist der Mensch nicht nur Kind seiner Eltern, sondern zugleich Kind seines Vaterlandes. Wie die Eltern dem Menschen das Leben schenken und ihn nähren, so bietet auch das Vaterland die äußeren und inneren Bedingungen, in denen er wachsen und reifen kann – die Heimat, die Kultur, die Gemeinschaft der Mitbürger. Darum nennt der heilige Thomas das Vaterland ein principium connaturale, ein natürliches Mitprinzip der menschlichen Entwicklung.
Die Logik der Vaterlandsliebe
Aus dieser natürlichen Verbundenheit erwächst eine sittliche Pflicht: die pietas, die Tugend der Ehrfurcht und Dankbarkeit gegenüber Eltern und Vaterland. Diese Liebe ist mehr als bloße Gefühlsregung oder romantischer Affekt. Sie ist eine Tugend, die auf Einsicht, Ordnung und Opferbereitschaft gründet. Wie die wahre Elternliebe nicht im bloßen Gefühl stehenbleibt, sondern im Dienst und Gehorsam Gestalt annimmt, so zeigt sich auch die echte Vaterlandsliebe in tätiger Verantwortung für das Gemeinwohl, in Treue und in der Bereitschaft, für das Vaterland einzustehen.
Gott gehört an die erste Stelle
Doch wie jede Tugend vermeidet auch die Vaterlandsliebe die Extreme. Unser Heiland Jesus Christus muss die erste Stelle einnehmen. Gott, der Schöpfer, hat den Vorrang vor dem Geschöpf, wozu auch die eigene Nation und das Vaterland gehören. Eine übersteigerte, ungeordnete Liebe zur eigenen Nation verkehrt sich leicht in Hochmut, Ungerechtigkeit oder Hass gegen andere Völker. Solche Haltung widerspricht dem Geist des Evangeliums. Wahre Vaterlandsliebe ist daher stets mit der christlichen Nächstenliebe vereinbar. Sie ehrt das eigene Land, ohne andere zu verachten, und sie sucht das Wohl des Vaterlandes im Lichte Gottes und seiner Ordnung.
So bleibt die Vaterlandsliebe eine christliche Tugend – verwurzelt in natürlicher Zuneigung, erhoben durch die Vernunft und geheiligt durch den Glauben.
Quelle: Vaterland und Vaterlandsliebe: Nach der Christlichen Moral mit Besonderer Berücksichtigung des Hl, Thomas von Aquinas (Robert Kopp), S. 80-81





