Ein Schrei über den Mauern von Belgrad
Juli 1456
Die Sonne steht brennend über der belagerten Stadt Belgrad. Auf den Mauern stehen Männer, erschöpft, zerlumpt, die Hände wund von tagelangem Kampf. Unter ihnen hebt sich eine Gestalt ab: ein schmächtiger alter Mann, barfuß, im zerschlissenen braunen Habit der Franziskaner. In seinen Händen hält er kein Schwert, sondern ein hohes Kreuz mit dem heiligen Namen „IHS“. Die Pfeile der Janitscharen zischen, Steine krachen, doch er steht unbewegt. Mit kräftiger Stimme ruft er über den Lärm: „Im Namen Jesu Christi – vorwärts! Der Himmel ist mit uns!“ Die Männer blicken auf ihn, und neue Kraft durchströmt sie. Dies ist Johannes von Capestrano, der Prediger Gottes, der gekommen ist, um eine Stadt – und Europa – vor dem Untergang zu retten.
Von weltlicher Laufbahn zu radikaler Bekehrung
Johannes wurde 1386 in der kleinen italienischen Stadt Capestrano geboren. Sein Vater, ein deutscher Ritter, starb früh; seine Mutter sorgte dafür, dass er eine hervorragende Ausbildung erhielt. In Perugia studierte er mit glänzendem Erfolg weltliches und kanonisches Recht. Schon in jungen Jahren wurde er Gouverneur einer Stadt – ein Posten, der Reichtum und Macht versprach. Er war verlobt und stand am Beginn einer glänzenden Karriere.
Doch im Jahr 1415 brach ein Krieg aus. Johannes geriet in Gefangenschaft und wurde in einer Festung eingekerkert. In dieser Dunkelheit begann Gott zu wirken. Johannes erkannte die Eitelkeit alles Irdischen. Nach seiner Freilassung löste er seine Verlobung, gab alle Ämter und Reichtümer auf und trat 1416 in den Franziskanerorden der Observanten ein – in jenen strengen Zweig, der in radikaler Armut, Fasten und Buße lebte. Von nun an war sein Leben geprägt von Askese: Er schlief auf nacktem Boden, trug grobe Kleidung, fastete oft tagelang und widmete jede Stunde dem Gebet oder dem Dienst am Nächsten.
Prediger mit göttlicher Vollmacht
Schon bald wurde Johannes als Prediger bekannt. Wo er sprach, versammelten sich Tausende. Seine Worte, getragen von unerschütterlichem Glauben, rüttelten die Herzen auf. Er predigte gegen die Laster, rief zur Beichte und zur Rückkehr in die Einheit mit dem Papst.
Im Auftrag mehrerer Päpste – Martin V., Eugen IV., Nikolaus V. und Calixt III. – reiste er als Apostolischer Legat durch Italien, Österreich, Deutschland, Polen und Böhmen. Er bekämpfte die Häresien seiner Zeit, besonders die Lehren der Hussiten, und verteidigte unermüdlich die Reinheit des katholischen Glaubens. Ganze Städte bekehrten sich; in manchen Regionen wurde berichtet, dass die Beichtväter tagelang nicht von den Beichtstühlen aufstanden.
Sein Wirken war begleitet von Wundern: Kranke wurden geheilt, Besessene befreit, und in einer berühmten Episode soll er einen Fluss überquert haben, indem er seinen Mantel ausbreitete und – ganz wie der hl. Franziskus – auf ihm stehend das Wasser überwand. Viele sahen dies als sichtbares Zeichen, dass Gottes Hand über ihm ruhte.
Das Herannahen der islamischen Bedrohung
Während Johannes predigte, wuchs im Osten eine neue Gefahr: Sultan Mehmed II., der Eroberer von Konstantinopel, drängte weiter nach Westen. Nach dem Fall der Kaiserstadt im Jahr 1453 schien der Weg nach Ungarn und weiter ins Herz Europas offen. Die Osmanen brachten eine gefürchtete Eliteeinheit mit – die Janitscharen, rekrutiert aus geraubten christlichen Knaben, die in der „Knabenlese“ (Devşirme) von ihren Familien entrissen, islamisiert und zu unbarmherzigen Soldaten erzogen wurden. Diese Armee war diszipliniert, kampferprobt und grausam.
Papst Calixt III. erkannte die Dringlichkeit und rief zu einem Kreuzzug auf. Doch Europa war zerstritten, viele Fürsten zögerten. Hier sollte Johannes von Capestrano zu einer Schlüsselfigur werden.
Berufung zum Retter von Belgrad
Obwohl er fast siebzig Jahre alt war, gehorchte Johannes ohne Zögern dem Ruf des Papstes. Er zog nach Ungarn, nicht um ein Heer als General zu befehligen, sondern um das Herz des Volkes zu entflammen. Wo er predigte, meldeten sich Freiwillige – Bauern, Handwerker, Studenten, sogar alte Männer. Sie kamen nicht als Soldaten, sondern als Christen, bereit, ihr Leben für den Glauben zu geben.
Gott führte ihn mit dem großen ungarischen Heerführer Johannes Hunyadi zusammen. Dieser brachte die kampferprobten Truppen; Johannes brachte das Volk, das Kreuz und das Feuer des Glaubens.
Die Belagerung – Geistlicher Kampf mitten im Krieg
Im Sommer 1456 standen etwa 150.000 Osmanen vor Belgrad. Sie belagerten die Stadt zu Land und zu Wasser, beschossen die Mauern Tag und Nacht. Die Situation schien hoffnungslos.
Doch Johannes stand mitten unter den Verteidigern. Barfuß, in seinem Habit, mit einem großen Kreuz oder dem Banner „IHS“ in den Händen, rief er den Kämpfern Mut zu. Er ging auf die Mauern, wo die Pfeile flogen, sprach Gebete, hörte Beichten und spendete die Kommunion. Seine Anwesenheit wirkte wie ein Schild: Die Männer fühlten, dass Gott selbst mit ihnen kämpfte.
Am 22. Juli kam der entscheidende Augenblick. Hunyadi führte einen Ausfall gegen die Osmanen, und Johannes ging mit – nicht mit dem Schwert, sondern mit erhobenem Kreuz. Wer wankte, dem stellte er sich entgegen, wer zu fliehen drohte, den rief er mit donnernder Stimme zurück. Zeitgenossen berichten, dass er mitten im Tumult predigte, und dass die Kämpfer mit den Worten „Jesus! Jesus!“ auf den Lippen in den Feind stürmten.
Sieg und Vermächtnis
Der Ausfall gelang. Die Osmanen wurden überrascht, ihre Linien durchbrochen, und bald verwandelte sich ihr Angriff in eine panische Flucht. Der Sieg von Belgrad war nicht nur eine militärische Entscheidung – er war ein Wunder der Vorsehung. Papst Calixt III. ließ als Dank das Mittagsläuten in ganz Europa einführen, um zum Gebet für den Sieg und die Abwehr der osmanischen Gefahr zu rufen – ein Brauch, der in vielen katholischen Ländern bis heute besteht.
Doch Johannes sollte den Ruhm nicht lange genießen. Von den Strapazen und der Hitze geschwächt, erkrankte er wenige Wochen später. Am 23. Oktober 1456 starb er in Ilok, mit dem Namen Jesu auf den Lippen. Schon bald setzten an seinem Grab Wunder ein, und 1690 sprach Papst Alexander VIII. ihn heilig.
Ein Heiliger für unsere Zeit
Johannes von Capestrano ist für Katholiken ein Beispiel unverrückbarer Papsttreue, unerschrockenen Bekennermutes und geistlicher Klarheit. Er zeigt, dass wahre Verteidigung Europas nicht nur in Mauern und Schwertern besteht, sondern im festen Glauben, der keine Kompromisse kennt. Seine Stimme ruft uns heute wie damals: „Vorwärts im Namen Jesu – für den Glauben, für die Kirche, für unsere Seelen!“
Quellen:
Acta Sanctorum, Oktober, Bd. 10 – Lebensbeschreibung des hl. Johannes von Capestrano.
Franziskanerchroniken der Observanten, 15. Jahrhundert.
Pius Bonifacius Gams: Series episcoporum Ecclesiae catholicae.
Ludwig Pastor: Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters.