Der Fall Anneliese Michel aus Klingenberg bleibt eines der aufsehenerregendsten spirituellen und juristischen Ereignisse der Nachkriegszeit. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur der Exorzismus der jungen Frau, sondern vor allem das Verhalten des Arztes Dr. Richard Roth – zunächst Unterstützer, später Kronzeuge der Anklage. Dr. Roth, Vertrauter und Freund des Exorzisten Pfr. Alt, wird zum Verräter vor Gericht.
Medizinische Bestätigung der Besessenheit
Bereits früh hatten auch Ärzte den Verdacht geäußert, dass Annelieses Zustand über das medizinisch Erklärbare hinausging. Besonders aufschlussreich ist hier die Rolle des Nervenfacharztes Dr. Lüthy. Nachdem Anneliese ihm von den teuflischen Fratzen berichtete, die sie sah, verwies er sie – ungewöhnlich offen – mit den Worten: „Da müssen Sie mal zum Jesuiten gehen.“ Diese Aussage, mehrfach von Mutter und Tochter bestätigt, lässt erkennen, dass auch ein erfahrener Facharzt spirituelle Ursachen nicht ausschloss. Annelieses Phänomene waren facettenreich und übernatürlich. Die anfangs vermutete Epilepsie bestätigte sich nie. Die falsche Medikation mit Antiepileptika verursachte schließlich eine folgenschwere Vergiftung.
Ein entscheidender Moment war der Besuch von Dr. Richard Roth im Mai 1976. Roth, langjähriger Freund des Exorzisten Pfarrer Alt, begleitete diesen nach Klingenberg, um Anneliese zu untersuchen. Die Begegnung veränderte ihn tiefgreifend. Er sah Anneliese in einer schweren Trance, erkannte spontane Stigmata an ihren Füßen und war nach eigenen Aussagen zutiefst erschüttert. Er gestand, dass ihm hier eine völlig neue Welt eröffnet worden sei – er begann sogar wieder zu beten. Seine ärztliche Einschätzung war eindeutig: „Anneliese ist besessen, da kann ich als Arzt nichts machen.“
Der Verrat vor Gericht
Doch Dr. Roth – der Zeuge und Arzt, der die Realität der Besessenheit bezeugt hatte – wandelte sich drastisch, als es zum Prozess gegen die Exorzisten kam. Vor Gericht leugnete er plötzlich vieles: Er sei lediglich aus wissenschaftlichem Interesse gekommen, habe Anneliese kaum gesehen, nie von Stigmata gesprochen und keine Atteste ausgestellt. Seine früheren Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft wichen deutlich von seinen Aussagen unter Eid ab. Es wurde offenkundig, dass Roth seine Rolle vertuschen wollte – er hatte sogar unmittelbar nach Annelieses Tod versucht, einen Totenschein zu beschaffen, um seine Mitwirkung zu verschleiern.
Noch schwerwiegender: Dr. Roth war als Zeuge der Staatsanwaltschaft geladen – obwohl er zuvor aktiv an der Verteidigung der Exorzisten beteiligt war. Er nahm an einer Besprechung mit Gutachtern und Anwälten teil, begutachtete die Angeklagten mit, wusste um den gesamten Fall – und stellte sich dann vor Gericht als neutraler, kaum involvierter Beobachter dar. Sein Sinneswandel lag wohl in der Sorge, seine Praxis aufs Spiel zu setzen, da er ein sehr prominenter Arzt war. Zu Pfarrer Alt sagte er auch, dass der Teufel vor Gericht nicht erwähnt werden dürfte. Pfarrer Alt bemerkte dazu nur, in seiner typischen Art, dass er wohl zu viele Draculafilme geschaut habe und Angst hätte Anneliese würde aus dem Grab auferstehen.
Die Verteidigung wurde über seine Rolle in einem gegen ihn eingeleiteten Meineid-Verfahren nicht informiert. Seine Aussagen vor Gericht waren widersprüchlich zu den Aussagen bei den Verhören. Dieses Verfahren wurde später aus unbekannten Gründen eingestellt. Wir müssen hier von einem Verrat an den Exorzisten sprechen.
Eine spirituelle Realität, die man nicht zulassen wollte
Der Fall Michel zeigt, wie stark das medizinische und juristische System gegen die Anerkennung spiritueller Phänomene immun war. Trotz eindeutiger Hinweise, medizinischer Aussagen und tiefgreifender Erfahrungen wie die von Dr. Roth oder Dr. Lüthy, blieb die offizielle Linie: keine Besessenheit, sondern Krankheit.
Der Verrat von Dr. Roth ist dabei mehr als nur persönliches Versagen – er steht symbolisch für eine Gesellschaft, die nicht bereit war, das Übernatürliche in Betracht zu ziehen, selbst wenn es sich vor den Augen ihrer Experten entfaltete. Von Seiten der Kirche kam auch keine Unterstützung, obwohl Bischof Stangl von Würzburg offiziell die Erlaubnis zum Exorzismus gegeben hat, und permanent im Kontakt zu den Exorzisten stand. Der Druck der Presse war zu groß.