Der hl. Alfons Maria von Liguori, Kirchenlehrer, Ordensgründer und Patron der Moraltheologie, ruft uns in seiner Predigt über das Allgemeine Weltgericht eine ernste, aber heilbringende Wahrheit ins Gedächtnis: Gott wird am festgesetzten Tag in der ganzen Herrlichkeit seines Richteramtes erkannt werden. Heute, so beklagt er, verachten viele Menschen den Herrn, als hätte Er keine Macht, über die Beleidigungen zu richten, die Ihm täglich zugefügt werden. Doch die Heilige Schrift bezeugt unmissverständlich, dass ein Tag kommt, an dem der ewige Richter allen Menschen zeigen wird, wer Er ist. Dieser Tag wird in der Bibel „der Tag des Herrn“ genannt – ein Tag des Zorns für die Gottlosen, ein Tag der Freude für die Gerechten.
Das Feuer, das alles verzehrt
Nach der Lehre des hl. Alfons beginnt dieser Tag mit einem Feuer, das vom Himmel fällt und die ganze Erde und alles, was sie enthält, verzehrt: „Da wird die Erde samt den Werken auf ihr verbrennen“ (2 Petr 3,10). Dieses Feuer wird keinen Unterschied machen zwischen Palästen und Hütten; alles Weltliche wird zu Asche. Daraufhin wird die Posaune erschallen, und wie der hl. Hieronymus sagt, wird allein der Gedanke an diesen Ruf den Heiligen Furcht einflößen: „Ich erzittere, so oft ich an den Tag des Gerichtes denke.“ Der hl. Augustinus bekennt, dass ihn nichts mehr von irdischen Freuden ablenkte als die ständige Erinnerung an das göttliche Gericht.
Die Auferstehung und der Unterschied der Leiber
Die Gerechten werden mit verherrlichten Leibern auferstehen, wie die Sonne leuchtend (Mt 13,43). Ihre Leiber sind durch Fasten, Gebet und Buße geheiligt. Die Verdammten hingegen werden in entstellten, schwarzen Leibern erscheinen, als Feuerbrände der Hölle. Der hl. Alfons zitiert den hl. Petrus von Alcantara, der nach seinem Tod der hl. Theresia sagte: „O selige Buße, die mir eine so große Herrlichkeit verdient hat!“ Die unglücklichen Sünder aber werden die Schmach empfinden, sich in solcher Gestalt vor der ganzen Menschheit zeigen zu müssen.
Die Versammlung im Tal Josaphat
Die Engel werden alle Völker ins Tal Josaphat führen (Joel 4,2). Der hl. Alfons erklärt, dass dieser Moment die Scheidung zwischen Gerechten und Gottlosen bringt: die einen zur Rechten, die anderen zur Linken. Diese Trennung ist eine Qual für die Verdammten, die noch größer wird, wenn sie sehen, wie Freunde und Verwandte auf der Seite der Auserwählten stehen, während sie selbst verworfen sind. Der hl. Johannes Chrysostomus bemerkt, dass diese Schande allein schon eine Hölle wäre.
Die Zeichen des Menschensohnes
Vor den Augen aller werden die Engel das Kreuz Christi und die Werkzeuge seiner Passion tragen. Der hl. Thomas von Aquin lehrt, dass diese Zeichen sowohl Trost als auch Anklage sind: Trost für die, die im Kreuz ihre Hoffnung setzten; Anklage für die, die es verachteten. Der hl. Chrysostomus fügt hinzu, dass die Nägel, die Dornen und das Kreuz selbst gegen die Sünder sprechen werden. Die Gottesmutter Maria wird ebenfalls erscheinen, um die Herrlichkeit ihres Sohnes zu bezeugen und den Gerechten Beistand zu leisten.
Die Offenbarung des Gewissens
„Die Bücher wurden aufgetan“ (Dan 7,10). Der hl. Alfons erklärt, dass dies bedeutet: Das Gewissen eines jeden Menschen wird vollkommen enthüllt. Gott wird alles, was im Finstern verborgen war, ans Licht bringen (1 Kor 4,5). Der Prophet Zefanja spricht im Namen Gottes: „Ich werde Jerusalem mit Laternen durchsuchen“ (Zef 1,12) – ein Bild für das völlige Aufdecken aller Sünden. Die Gerechten werden das Lob empfangen, das ihnen für ihre guten Werke zusteht. Die Gottlosen hingegen werden ihre eigene Torheit bekennen: „Wir Toren! Wir hielten ihr Leben für Unsinn“ (Weish 5,4–5).
Die Ankläger am Tag des Gerichts
Der hl. Alfons erinnert daran, dass die Teufel als Ankläger auftreten werden, wie der hl. Augustinus sagt: „Judica esse meum, qui tuus esse noluit“ – „Richte den, der nicht dein sein wollte.“ Das eigene Gewissen wird als Zeuge auftreten, ebenso die Geschöpfe, die wir missbraucht haben. Selbst die Mauern der Häuser, in denen wir gesündigt haben, werden gegen uns zeugen (Hab 2,11).
Der Urteilsvollzug
Christus wird sich zuerst den Gerechten zuwenden und sprechen: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmt das Reich in Besitz“ (Mt 25,34). Er wird ihre Tränen, Gebete und Opfer segnen. Dann wird Er sich an die Verdammten wenden: „Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“ (Mt 25,41). Der hl. Ephräm beschreibt, wie sich ein Abgrund öffnet, in den die Verworfenen gestoßen werden, während sich über ihnen die Pforte für immer schließt.
Geistliche Anwendung
Der hl. Alfons mahnt, dass wir jetzt, solange Christus noch unser Erlöser ist, unsere Sünden bereuen und zu Ihm zurückkehren sollen. Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heiles (2 Kor 6,2). Wer diese Zeit nutzt, wird am Tag des Gerichts nicht erzittern, sondern jubeln. Wer sie verachtet, wird vor den Augen der ganzen Schöpfung beschämt das gerechte Urteil empfangen.
Schlussgedanke
Das Allgemeine Weltgericht ist für den hl. Alfons nicht nur eine Wahrheit der Lehre, sondern ein mächtiger Ansporn zur Umkehr. Es ist der Tag, an dem Gott in seiner Gerechtigkeit verherrlicht wird und die Wahrheit über jede Seele offenbar wird. Möge uns dieses Bewusstsein dazu bewegen, so zu leben, dass wir einst zu denen gehören, die den seligen Ruf hören: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters.“
Quelle: Predigten des Hl. Alfons Maria von Liguori