Wie Neocons die katholische Kirche unterwandert haben

Was versteht man unter Neokonservatismus?

Der Neokonservatismus ist eine politische und ideologische Strömung, die ihre Wurzeln in den 1960er und 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten hat. Ursprünglich aus dem linken politischen Spektrum stammend, wandten sich viele Neokonservative von den Ideen des linken Liberalismus und Sozialismus ab, da sie diese als zu nachgiebig gegenüber kommunistischen und totalitären Bedrohungen betrachteten. Der Neokonservatismus verbindet Elemente des traditionellen Konservatismus mit einer stärker interventionistischen Außenpolitik und einer marktwirtschaftlich orientierten Innenpolitik.

Neokonservatismus hat vor allem zwei Kernpunkte: Der erste ist der Widerstand gegen totalitäre Regime und Ideologien, einhergehend mit einem liberalen Staatsbild, das die Wahrheitsfrage offen lässt. Der zweite ist eine starke moralische Ausrichtung, um die liberale Freiheit zu ordnen. Neokonservative betonen die Bedeutung von moralischen Prinzipien und sehen ihre Weltanschauung als optimal für einen arbeitsethischen Kapitalismus, der alle Bereiche der Gesellschaft leistungsorientiert optimieren und moralisieren will.

Das Zweite Vatikanische Konzil und der Einfluss amerikanischer Theologen

Das Zweite Vatikanische Konzil, ein epochales Ereignis in der Geschichte der katholischen Kirche, zielte darauf ab, die Kirche zu modernisieren und sie den Herausforderungen der modernen Welt anzupassen. Einer der zentralen amerikanischen Theologen, der während und nach dem Konzil erheblichen Einfluss ausübte, war John Courtney Murray. Murray setzte sich intensiv für die Idee der Religionsfreiheit ein und trug zur Erklärung „Dignitatis Humanae“ bei, die die Religionsfreiheit als Grundrecht anerkannte. Dies war ein entscheidender Schritt weg von der traditionellen Lehre, die eine bevorzugte Stellung der katholischen Kirche in staatlichen Angelegenheiten befürwortete.

Murrays Ideen trugen zur Öffnung der Kirche gegenüber der modernen Welt bei und beeinflussten insbesondere die neokonservative Bewegung innerhalb der Kirche. Diese Bewegung argumentierte mit der Religionsfreiheit taktisch gegen angeblich totalitäre Anmaßungen, betonte die Freiheit und stellte die Kirche wie ein Angebot auf einem Marktplatz dar, das sich im Wettbewerb behaupten müsse. Der eigentliche Anspruch der Kirche, die einzig wahre Kirche Jesu Christi zu sein, wurde von den Neocons regelmäßig ignoriert, weil er ihrem marktwirtschaftlichen Werbeanspruch nicht entsprach.

Der Einfluss der amerikanischen Neocons auf Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

In den folgenden Jahrzehnten gewannen Neocons innerhalb der katholischen Kirche zunehmend an Einfluss. Eine Schlüsselperson dieser Bewegung war George Weigel, ein prominenter amerikanischer katholischer Intellektueller und Biograph von Papst Johannes Paul II. Weigel und andere neokonservative Denker wie Michael Novak und Richard John Neuhaus sahen in Johannes Paul II. einen Verbündeten, der ihre Vision einer stärkeren Verflechtung von Glauben und politischer Aktion teilte.

Johannes Paul II. stand wie kein anderer Papst unter dem Einfluss der Neocons. Es ging immer weniger darum die Wahrheit des katholischen Glaubens zu verteidigen und immer mehr darum, die Idee des amerikanischen Liberalismus zu verbreiten und gleichzeitig Abtreibung und Verhütungsmittel zu geißeln. So wurde der katholische Glaube mehr und mehr zu einem Glauben für „anständige Amerikaner“, die ihr Glück suchen und dabei nicht unmoralisch werden.

Benedikt XVI. war der letzte Papst, der von diesen amerikanischen Ideen beeinflusst wurde. Er setzte er sich weiterhin für eine klare moralische und theologische Linie ein, die viele Aspekte der neokonservativen Ideologie widerspiegelte und hielt gleichzeitig an den liberalen Ideen fest. Seine Enzykliken und sein Engagement in sozialen und bioethischen Fragen unterstrichen diese Ausrichtung. Neokonservative Bischöfe wie Charles Chaput und Joseph Strickland waren die Idealbesetzungen Ratzingers.

Die Neocons setzten sich erfolgreich dafür ein, dass die katholische Kirche in den Bereichen Ökumene, Soziallehre und politische Beteiligung eine aktivere Rolle übernahm. Sie förderten eine liberale wirtschaftliche Agenda und unterstützten demokratische Bewegungen weltweit. Dennoch hielten sie in moralischen und ethischen Fragen an konservativen Positionen fest, was zu einem Spannungsverhältnis innerhalb der Kirche führte. Während sie liberale ökonomische und politische Prinzipien unterstützten, blieben sie in Fragen wie Abtreibung und Ehe konservativ.

Die Verflechtung der katholischen Kirche mit amerikanischen politischen Interessen wurde durch diese neokonservative Agenda verstärkt. Amerikanische Theologen und Intellektuelle, darunter Weigel, Novak und Neuhaus, trieben eine Vision voran, die die katholische Kirche als eine moralische Autorität im globalen politischen Diskurs positionierte, ohne ihren Wahrheitsanspruch ernst zu nehmen. Diese Vision sah die USA als Hauptakteur in der Förderung von Demokratie und Menschenrechten, unterstützt durch die moralische Autorität der katholischen Kirche.

Papst Franziskus und das Ende einer Ära

Mit der Wahl von Papst Franziskus im Jahr 2013 endete der Neokonservatismus in der katholischen Kirche. Franziskus bekämpft den Neokonservatismus und richtet sich stärker an linken Ideologien aus. An die Stelle des Amerikanismus treten nun vermehrt lateinamerikanische Konzepte. Er entfernt sich damit noch weiter von der Tradition, macht aber gleichzeitig deutlich, dass der Neokonservatismus niemals eine wirklich konservative und traditionelle Position war, sondern eher eine gemäßigt liberale Agenda, Progressismus mit Geschwindigkeitsbegrenzung. Jetzt fallen die Grenzen mehr und mehr, vor allem im Bereich der Sexualmoral. Um die katholische Kirche aus der Krise zu führen braucht es allerdings keine Rückkehr zum Neokonservatismus, keinen Johannes Paul III. oder Benedikt XVII., sondern ganz einfach eine Rückkehr zur Tradition. Stat crux dum volvitur orbis – das Kreuz steht fest, während die Welt sich dreht. Dasselbe muss für die Lehre der Kirche gelten.

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